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IPPNW

Fukushima-Newsletter vom 11.08.2015

Sehr geehrte Damen und Herren,

diesen August begeht die Welt die 70. Jahrestage der atomaren Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki. Auch in Fukushima wird dieser beiden Katastrophen gedacht. Genau am heutigen Tag wird im äußersten Süden Japans zudem das erste Atomkraftwerk wieder hochgefahren, nachdem das Land die letzten zwei Jahre komplett ohne Atomkraft ausgekommen war. Viele Japaner fragen sich in diesen Tagen, wie ein Land, das die zerstörerische Kraft des Atoms auf so brutale Weise vor Augen geführt bekam, sich so blind auf die gefährliche Atomenergie einlassen kann. Auch wir haben uns die Frage gestellt und einige unserer japanischen Kontakte damit konfrontiert. Die Antworten finden Sie, liebe LeserInnen, in diesem Newsletter. Außerdem berichten wir über die aktuellen Vorhaben der japanischen Behörden, die Strahlenhöchstwerte von Nukleararbeitern zu erhöhen und über die Einschätzungen der deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) zur aktuellen Strahlenfreisetzung in Fukushima. 

Wir hoffen, Ihnen damit erneut einen guten Einblick in die aktuellen Geschehnisse in Japan bieten zu können und freuen uns wie immer über ihr regelmäßiges Interesse an unserem Newsletter.

Mit freundlichen Grüßen

Henrik Paulitz und Dr. Alex Rosen

Japan kehrt gegen den Willen der Bevölkerung zur Atomkraft zurück

AKW Sendai, Foto: Wikipedia, Reworked version of Image:Sendai.JPG by Regi51

Die Ärzteorganisation IPPNW sieht mit großer Sorge, dass heute in Japan - mehr als vier Jahre nach Beginn der Atomkatastrophe von Fukushima - der erste Atomreaktor wieder ans Netz geht. Eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energieformen wäre für den sonnen- und windreichen Inselstaat naheliegend, zumal einige der führenden Wind- und Solarenergieunternehmen der Welt in Japan sitzen. Auch Geothermie- und Energieeffizienzmaßnahmen sind in Japan relativ unkompliziert umzusetzen, wie Studien immer wieder gezeigt haben. Doch auch in Japan hat die Atomindustrie, das sogenannte "Nukleare Dorf", großen politischen Einfluss bis hin in die Regierung und so verfolgt Ministerpräsident Shinzo Abe allen Umfragen und Empfehlungen zum Trotz unbeirrbar die Rückkehr zur Atomkraft und bremst so die japanische Energiewende aus.

Neue Empfehlungen zu Strahlenhöchstwerten bei Arbeitern

Die japanische Atomaufsichtsbehörde NRA und das japanische Gesundheitsministeriums haben vorgeschlagen, die maximale Strahlenbelastung für Nukleararbeiter für eine Notfallsituation von 100 Millisievert (mSv) auf 250 mSv anzuheben. Mit ihrer neuen Empfehlung passen sich die Behörden offenbar den Realitäten an, da die Strahlenbelastung von Arbeitern auf dem Gelände des havarierten Atomkraftwerks Fukushima Dai-Ichi in Einzelfällen 250 mSv erreicht habe. Inzwischen liege die Belastung im Bereich von 100 mSv. Auch jenseits von Katastrophensituationen sollen Nukleararbeiter einer höheren Strahlenbelastung ausgesetzt werden dürfen. In fünf Jahren soll eine kumulierte Strahlenbelastung von 100 mSv zulässig werden.

Aktuelle radioaktive Freisetzungen in Fukushima

Mehr als vier Jahre nach Beginn der Atomkatastrophe von Fukushima müssen die Behörden in Japan feststellen, dass die Dekontaminationsbemühungen in Teilen der verstrahlten Gebieten weit hinter den ursprünglichen Zeitplänen hinterherhinken oder immer wieder zurückgeworfen werden. Während Straßen und Plätze durch Abtragung von oberflächlichen Erdschichten und Säuberungsaktionen relativ gut von strahlenden Partikeln zu befreien waren und auch Wohngebiete durch ein massives Aufgebot an Personal und mühsame Kleinstarbeit zumindest temporär dekontaminiert werden konnten, stellen Felder, Waldgebiete und wildes Terrain unsanierbare Reservoirs an radioaktiven Stoffen dar und tragen immer wieder zur Rekontamination ehemals gereinigten Areale bei. Hinzu kommt, dass auf dem Gelände des havarierten Atomkraftwerks kontinuierlich neue Strahlung in die Umgebung frei gesetzt wird.

Yin und Yang – weshalb Japan sich trotz Hiroshima und Nagasaki auf Atomenergie einließ

Luftbild der Anlage von 1974. 1956 entstand hier das japanische Atomenergie-Forschungsinstitut, gefolgt von Fabriken zur Herstellung von atomarem Brennstoff, Anlagen zur Wiederaufbereitung von Brennelementen und Japans erstem Atomkraftwerk. Heute stehen i

Am 6. August 1945 detonierte über Hiroshima die Atombombe „Little Boy“ und verwandelte die Stadt in ein brennendes Inferno. Drei Tage später, am 9. August 1945, erlitt Nagasaki das selbe Schicksal. Zehntausende Menschen starben noch am Tag der Explosionen, knapp 200.000 bis Ende des Jahres. Weitere Hunderttausende Menschen blieben ihr Leben lang gezeichnet – durch Verletzungen, Verbrennungen, den Folgen der Strahlenexposition, dem Verlust von Familienmitgliedern und Heimat, dem Trauma und der Stigmatisierung. Die Bombardierungen von Hiroshima und Nagasaki, deren 70. Jahrestag wir diesen August begehen, haben sich wie kein anderes Ereignis in das kollektive Gedächtnis Japans eingebrannt.

Umso erstaunlicher ist es, dass Japan heute eine der größten und mächtigsten Atomindustrien der Welt hat. Das sogenannte Nuclear Village (Nukleares Dorf), wie die japanische Atomlobby auch genannt wird, übt in Japan seit vielen Jahrzehnten maßgeblichen Einfluss auf Politik und Gesellschaft aus, ist eng verbandelt mit der regierenden Partei und die wohl einflussreichste wirtschaftliche Lobbygruppe im Land. Wie es dazu kommen konnte, dass sich ein Land, das so massiv unter den Folgen der militärischen Atomindustrie gelitten hat, dazu entscheidet, die zivile Atomindustrie zum Rückgrat seiner Wirtschaft zu machen, ist eine Frage, die wir diesen Monat mehrere unserer japanischen Kontakte gestellt haben.